Eine Infografik zu erstellen, hat was von einem Autounfall. Man hat danach nur ein einziges Ziel: Die Sache so schnell wie möglich zu vergessen und auf keinen Fall zu wiederholen. Zumindest ging es mir so, als ich zum ersten Mal mit einer Infografik betraut wurde. Wer denkt, so ein Teil sei eh nur eine Grafik, deren Ziel es ist, die verschiedenen Informationen möglichst anschaulich aufzubereiten, irrt. Tatsächlich dachte ich das auch, als ich zum ersten Mal mit meinem Kollegen über hundert Computerseiten mit Statistiken brütete. Wenig später stellte ich jedoch fest: Infografiken sind die Kevins des Printjournalismus. Oder von mir aus auch die Mandy-Chantals, ich bin ja absolut gegen Geschlechterdiskriminierung, bei mir dürfen ruhig mal Frauen die Arschlochrolle einnehmen.
Im Prinzip könnte es nicht einfacher klingen: Man schaut einfach, welche Zahlen zum Thema passen, schreibt sie sich heraus, gibt das alles an einen fähigen Grafiker weiter und die Sache ist erledigt. Soweit die Theorie. Leider kommt es in gut 99 Prozent der Fälle anders. Die Statistikinstitute scheinen nämlich gerne mal zu denken, dass Journalisten eh den ganzen Tag nichts zu tun haben, weshalb sie generell zu wenig brauchbares und zu viel sinnloses Material liefern. Okay, die können nichts dafür, wenn das ihre Statistiken sind, aber journalistenfreundlich ist das alles nicht. Wollte ich nur mal festgehalten haben.
„Willst du nen Kaffee?“, fragte mich mein Kollege, als wir im Begriff waren, zusammen Input für die erste Infografik meines Lebens zu suchen. Ich lehnte dankend ab. „In zwei Minuten wirst du dir einen wünschen.“
Tatsächlich war ich nach zwei Minuten heillos überfordert und so todmüde, dass ich mich am liebsten auf dem Sofa breitgemacht und geschlafen hätte.
„Wie wäre es, wenn wir die Selbstständigenraten von Männern und Frauen reinbringen würden?“, wagte ich einen neuen Versuch, mich irgendwie brauchbar zu machen.
„Geht leider nicht, da haben wir nur die Österreichzahlen, wir müssen das bundeslandspezifisch machen.“
Ich versenkte meinen Kopf weiter in den Zahlen und hoffte, dass es nicht auffiel, dass meine Augen immer wieder zufielen und dass diese Zeitspannen von Mal zu Mal länger wurden. Die Statistiken gaben leider nicht allzu viel her. Entweder die Zahlen bezogen sich auf Österreich oder man musste schon gähnen, wenn man sie sich nur ansah – wobei das in besagter Statistik generell der Fall war. Warum man manche Dinge untersuchen muss, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Aber solange es Menschen gibt, die die Wirkung von Vampirbildern auf Toastbroten auf die menschliche Psyche erforschen, darf ich mich wohl über nichts wundern.
„Man sagt immer, Infografiken sind leicht“, begann mein Kollege und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Ich wünschte mir, ich hätte sein Angebot vorhin angenommen. Aber in meinem Alter muss man eh auf seinen Blutdruck achten. „Du suchst dir einfach ein paar interessante Zahlen raus und die Sache hat sich. Klingt ja auch idiotensicher, deshalb hab ich mich dafür mal freiwillig gemeldet. Seitdem bleibt das immer an mir hängen. Also melde dich niemals freiwillig für eine Infografik.“
„Ich glaube, diesen Rat werde ich sogar beherzigen“, sagte ich.
„Du wirst es nicht bereuen, wenn du es tust. Das Problem mit dieser Infografik ist nämlich…“
„Wir haben keine interessanten Zahlen?“, mutmaßte ich vorsichtig. Man sollte ja nicht meinen, dass ich mich so früh schon über meine Arbeit beklagte. Wollte ich auch keinesfalls. Mag ja meinen Job. Aber Infografiken finde ich… nicht gut. Um es mal vorsichtig auszudrücken. Eigentlich fände ich den Ausdruck „kacke“ in dem Fall ein bisschen passender, aber ich will ja nicht unterstellt bekommen, dass ich am Tourette-Syndrom leide.
„Korrekt, die Zahlen sind scheiße“, bestätigte mein Kollege. „Also entweder fragen wir noch ein paar Zahlen an, oder wir schauen, was wir aus den Zahlen hier noch rausholen und wie wir das Ganze aufbereiten. Aber das wird dann meine Sorge sein, du bist erst mal aus dem Schneider.“
Erst mal. Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, ob das eine Drohung war. Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Die nächsten Tage verlief alles verdächtig ruhig, doch es kam der Moment, an dem mein Kollege für eine Woche in den Urlaub fuhr und mich zurückließ mit einem Baby namens Kevin-Chantal, besser bekannt als Infografik. Er schickte mir eine riesige Exceltabelle (und mit riesig meine ich so riesig, dass unsere wirklich schnellen Macs fast eine Minute zum Öffnen derer brauchten) und erklärte mir in einer Mail ausführlich, was für Zahlen ich daraus bitte ziehen möge.
An sich klang es mal wieder einfach. Und auch die Grafik an sich machte mir erst mal keine Probleme. Bis auf die Tatsache, dass sie einschläfernd und ich immer noch nicht zur Kaffeetrinkerin mutiert war. Ich verbrachte also einen ganzen Arbeitstag damit, fröhlich eine Zahl nach der anderen zu kopieren (das Wort „fröhlich“ bitte mit leicht ironischem Unterton lesen) und sie dann noch drei Mal auf ihre Korrektheit zu checken. War ja wichtig. Bei Infografiken passieren schnell Fehler und dann kann es auch mal Kritik bis hin zum Shitstorm regnen. Was man dringend vermeiden sollte.
Ich gab die Zahlen an den Grafiker weiter und der baute daraus ein richtig hübsches Ding, mit dem ich eigentlich nicht mal unzufrieden war. Bis mein Kollege aus dem Urlaub wieder kam. Der hat dann nämlich Fehler gesehen, auf die wäre ich im Traum nicht gekommen.
„Das hier war die Übergruppe für die drei Sachen hier, hier hast du ignoriert, dass du die falschen Maßeinheiten angegeben hattest, die Quellenangabe steht nicht drin und der Vergleich hier hinkt ein wenig“, war die kurze Zusammenfassung meiner Fehltritte, die mein zahlentechnisches Ego auf den Nullpunkt sinken ließ. Ich wusste in diesem Moment genau, dass ich niemals bei einem Statistikinstitut arbeiten würde, also hatte es auch etwas Gutes: Meine Zukunftsperspektive wurde deutlich eingeschränkt, da alles, was mit Zahlen zu tun hatte, rausfiel. Gut, dass ich Wirtschaft studiere.
„Naja, macht nichts. Du bist Anfängerin und da passieren nun mal Fehler. Du hast mir trotzdem viel Arbeit abgenommen, danke dafür“, sagte mein Kollege. Wenig später hörte ich ihn leise über die Exceltabelle fluchen. Ob ich ihm also wirklich Arbeit abgenommen oder ihm neue gemacht habe, wage ich anzuzweifeln. Was ich dafür weiß, ist, dass ich nie wieder eine Infografik machen werde müssen. Und dass der Kerl echt Nerven wie Drahtseile haben muss. Ich an seiner Stelle hätte mir wahrscheinlich eine reingehaut. Ich weiß schon, warum er immer die Infografiken macht.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
derhilden
• 8 Jahren agoDas klingt nach einer der Arbeiten, die auf der Spaßskala weit unterhalb von „Ich schneide mir mit einer rostigen Nagelschere die Zehen ab“.
Gut, dass ihr so einen widerstandsfähigen Kollegen hat. Ihr solltet ihm huldigen und seinen Kaffeekonsum großzügig unterstützen!
Bei der Erwähnung von Tourette musste ich schmunzeln. Ich habe mich schon öfter gefragt, ob es sowas wie „Schreibtourette“ gibt. 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoJa es gibt so heilige 😀
Und das gibt es. Und zwar in richtig heftigen Ausprägungen 😀
derhilden
• 8 Jahren agoAch krass! Das stelle ich mir echt strange vor, dass man auf einmal aus einem Impuls heraus ein Schmipfwort oder so schreibt. Bei der Sprache ist das für mich noch nachvollziehbarer, aber dass man ein ganzes Wort schreibt und das nicht kontrollieren kann, ist mal übel.
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoJa kontrollierbar wäre es schon, aber meistens passt es dann doch irgendwie gut rein und dann lässt man es wo es ist 😀
jackyswelt
• 8 Jahren agowie aufmunternd, dass es in jedem Job so eine „Scheiß“ Aufgabe gibt 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoJa die gibt’s auch hier 😀
Die Sache mit den Interviews - diemitdemrotenlippenstift
• 7 Jahren ago[…] dann entsteht ein flüssiges Gespräch. Tja, leider ist das ähnlich, wie die Sache mit den lieben Infografiken, denn solche Interviews hatte ich bisher genau zwei Mal. Das ist ein relativ geringer Prozentsatz […]