Gestern war es so weit – Wien und ich feierten unseren ersten Jahrestag. An solchen Tagen werde ich immer ein bisschen sentimental und lasse Revue passieren, was sich seitdem getan hat. Wer mein Gedächtnis für besondere Daten kennt, kann sich denken, dass ich mit solchen Dingen sehr viel Zeit verbringe. Aber ich finde, bei diesem ganz besonderen Datum kann man schon mal ein bisschen in Erinnerungen schwelgen. Immerhin ist Wien ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Und es fühlt sich regelrecht surreal an, dass es nun schon – oder auch erst – ein Jahr sein soll…
Wie alles begann…
Als ich gestern Nacht ganz meinem Granny-Lifestyle entsprechend um 23 Uhr im Bett lag, musste ich grinsen, als ich an den 15. September 2017 zurückdachte. Da war um diese Zeit nämlich noch lange nicht an Schlaf zu denken, denn Mama und ich waren voll und ganz damit beschäftigt, Möbel aufzubauen – damals noch in meinem WG-Zimmer. Nach dem Schock direkt nach meiner Ankunft, dass wir wohl bald aus der Wohnung raus müssten, mussten wir erst mal eine Runde spazieren gehen. Es war kalt damals, nicht mal ansatzweise dieses tolle T-Shirt-Wetter, das wir dieses Jahr hatten. Wir liefen dann länger als geplant durch Wien und kamen entsprechend spät wieder in der Wohnung an – und entsprechend lang war auch die Nacht. Als wir endlich den Schreibtisch, drei Billy-Regale, ein Nachtkästchen, einen Fernsehtisch und einen Sessel aufgebaut hatten (wohlgemerkt mit nur einem Schraubenzieher), war es zwei Uhr morgens. Und wir waren komplett am Ende.
Endlich eigene Wohnung!
Lange musste ich nicht in der WG ausharren. Hätte ich wahrscheinlich auch nicht länger durchgehalten. Meine asoziale Seite kam zum Vorschein und ich bekam einen zunehmenden Hass auf die Welt. Vor allem auf die Airbnb-Gäste, die jedes Wochenende das Zimmer meiner Ex-Mitbewohnerin bewohnten. Wäre damals jemand in die WG eingebrochen, ich hätte wahrscheinlich nur „Hallo“ gesagt.
Insofern kam mir der Rauswurf gar nicht so ungelegen. Zwar kostete er mich einige schlaflose Nächte, viel Geld und auch zahlreiche Tränen, aber zwei Tage vor Weihnachten konnte ich endlich mein eigenes Reich beziehen – wahrscheinlich eines der besten Weihnachtsgeschenke, die ich mir jemals selbst beschert habe. Und auch, wenn ich bereits vieles durchmachen musste in dieser Wohnung (ich sage nur Gasleck, gebrochene Duschwand und laute Nachbarn), könnte ich mir momentan keinen Ort vorstellen, an dem ich diese Zeit lieber verbringen möchte. Vor allem, da ich jetzt auch noch eine nette Nachbarin dazubekommen habe 🙂
Uni und andere Katastrophen
Wenn ich eines über Wien gelernt habe, dann das: Nicht mal im Finanzamt arbeiten so feindselige, unmotivierte Menschen wie an der Uni Wien. Gerade, als ich mein Masterstudium aufgenommen habe, wurde der ganze Studienplan umgeworfen und niemand kennt sich aus – am allerwenigsten die Verantwortlichen selbst. Ich kann nicht sagen, wie oft ich mich im vergangenen Jahr über die Uni und ihre unfähigen Mitarbeiter aufgeregt habe. Vor allem, wenn ich auf eine präzise ausformulierte Mail mit einer eindeutigen Fragestellung meinerseits nur einen hingeklatschten Link zurückbekam und ich mich fragte, was so schwer daran sei, eine verf***** Frage zu beantworten.
Das mit dem Sudern in Wien habe ich also schon voll verinnerlicht – zugegeben, das hat dank meiner von Natur aus asozialen Ader nicht allzu lange gedauert.
Wie ich mich verändert habe
Vielleicht ist es etwas übertrieben zu sagen, dass ich selbst ein anderer Mensch geworden bin. Ich bin immer noch dieselbe chaotische, unter der Dusche singende Julie, die ich vorhin schon war. Ich würde nach wie vor eine Darmgrippe vortäuschen, um nicht auf eine Party mitgehen zu müssen und bin immer noch der Meinung, dass die Gurke und Orange im Pimm’s als Obstsalat zählen. Also ich bin ganz die Alte. Nur, dass ich jetzt Wäsche waschen kann und weiß, wie man einen Duschabfluss reinigt. Und dass ich tatsächlich manchmal zur Entspannung die Wohnung putze. Ich glaube, das ist eine der größten Veränderungen, die ich in diesem Jahr durchgemacht habe.
Außerdem bin ich wohl zwangsläufig etwas erwachsener geworden. Ich bin alleine mit dem Gasleck in meiner Wohnung fertig geworden (nachdem ich „Gasgeruch in der Wohnung was tun“ gegoogelt habe), habe eine Kundenkarte bei allen möglichen Supermärkten und habe zehn Minuten damit verbracht, die Etiketten von allen möglichen Toilettenreinigern zu studieren, um einen zu finden, bei dem ich anschließend nur runterspülen muss.
Vor der ersten Spinne, die sich auf einer meiner über drei Meter hohen Wände niederlässt, fürchte ich mich allerdings schon. Immerhin braucht meine Mama fast fünf Stunden, bis sie bei mir sein kann…
Wien, du warst und bist (mit kleinen Ausnahmen) gut zu mir. Das Jahr war verdammt turbulent. Ich habe mehr erlebt als sonst in zehn Jahren. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht erst gestern hier eingezogen bin und dann ist meine Zeit in der WG oder gar in Innsbruck wieder so unglaublich weit weg… Einfach ist es nicht. Aber schön.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
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