„Journalismus ist kein Beruf, Journalismus ist eine Krankheit“, sagte einst der Chefredakteur unserer bekanntesten lokalen Tageszeitung. Wie Recht er damit hat, weiß ich erst, seitdem ich selbst in diesem Beruf arbeiten darf. Ich spüre nämlich auch schon einige der Symptome, die er beschrieben hat.
„Jour·na·lis·ten·krạnk·heit
Substantiv [die]
Beschreibt einen Zustand, in dem ein Mensch nicht gesund ist, da die normalen körperlichen oder seelischen Vorgänge gestört sind durch enorm gesteigerte Neugier, Pedanterie, Klugscheißerei und den Drang, alles aufzuschreiben.“
Ich will damit nicht sagen, dass ich vorher kein Klugscheißer war, dieser Charakterzug ist mir wohl angeboren und das kann und werde ich nicht abstreiten. Wenn jemand sagt: „Hier wird nicht geklugscheißt!“, lautete meine Antwort schon immer: „Das heißt kluggeschissen.“
Wenn ich höre, wie jemand „Ich muss mit dir reden wegen dem Interview“ sagt, muss er damit rechnen, dass ich ihm die richtige Form im Genitiv an den Kopf knalle. Schließlich heißt es ja auch deswegen und nicht demwegen. Nachdem ich mich zusehends unbeliebt damit gemacht habe, versuche ich nach wie vor, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Bei meinen Mitmenschen habe ich das auch schon ganz gut drauf, aber der Fernseher bekommt mein Grammatik-Tourette immer noch zu spüren. Darüber könnte ich einen eigenen Blogeintrag schreiben. Mal sehen, ob ich das mache.
Jedenfalls bin ich, seit ich mich selbst als Journalistin bezeichne, noch mehr Klugscheißerin als sonst. Mittlerweile beschränkt sich das aber zumindest nicht mehr auf die Grammatik anderer Leute, sondern ist um einiges ausgefeilter. Jetzt geht’s um die Inhalte. Meine Mitmenschen müssen also nun doppelt aufpassen, was sie sagen. Entweder, weil ich sie gnadenlos verbessere und damit meine Mission, die Menschen über das Weltgeschehen aufzuklären, erfülle, oder weil sie Angst haben müssen, dass sie sich mal in einem meiner Artikel oder Blogposts wiedererkennen. Meine Mutter kann ein Lied davon singen. Ich muss zugeben, wenn jemand etwas Witziges, Inspirierendes oder auf positive Art und Weise Bescheuertes sagt, spielen sich in meinem Kopf sofort diverse Szenarien ab, in denen ich diese Sätze verwenden kann. Deshalb trage ich auch immer ein Notizbuch in meiner Handtasche herum. Leider ist es zu einem sehr seltenen Vergnügen geworden, dass ich dort Zitate reinschreibe. Das habe ich während meiner Schulzeit immer gemacht. Die Lehrer haben mich dafür verflucht, meine Klassenkameraden haben es mir zum Schluss gedankt. Die Hälfte der Sprüche in der Maturazeitung stammt nämlich von mir. Ich glaube, ich sollte wieder mit dem Zitate-Sammeln anfangen. So etwas kann man immer gut verwenden.
Zusammenhängend mit dem Drang, alles aufzuschreiben, ist die Neugier, die bei mir auch schon immer überdurchschnittlich groß war. Schon als Kind wollte ich alles wissen und wusste, wenn man den Erzählungen meiner Verwandten glauben darf, auch sehr viel. Klugscheißerkind lässt grüßen. Jedenfalls gibt es einfach so viele Dinge, die mich interessieren, was für diesen Beruf sehr von Vorteil ist. Vor allem, wenn man für verschiedene Magazine mit unterschiedlichen Schwerpunkten arbeitet, sollte man die Bereitschaft, seinen Horizont zu erweitern, mitbringen. Natürlich tut diese Bereitschaft auch jedem anderen Menschen gut, wie ich finde. Die meisten Horizonte hören nämlich leider beim eigenen Tellerrand auf. Und dann entstehen Formate wie Frauentausch oder Berlin Tag und Nacht. Schaue ich aber zugegebenermaßen auch ganz gerne. Wegen der schönen Landschaft, versteht sich. Und ich muss ehrlich sein, ich stehe natürlich auch so ein wenig auf Zickenkrieg. Ich bin halt auch nur eine Frau. Außerdem motivieren mich solche Serien immer total, zu lernen und was aus meinem Leben zu machen. Meine Mutter dagegen hat nach Frauentausch immer den Drang, die Wohnung zu putzen. So gesehen haben auch solche Sendungen ihre positiven Auswirkungen.
Vom letzten Symptom der Journalistenkrankheit, der Pedanterie, habe ich bisher nicht allzu viel gespürt. Das Wort „Gründlichkeit“ gehörte bisher nur zu meinem Vokabular, wenn ich auf Facebook meinen Schwarm gestalkt habe. Ja, damit kann ich mich sehr, sehr lange beschäftigen. Ich mag gar nicht zugeben, wie ausgefeilt meine Stalkernatur ist. Nur so viel, als ich mit meinem Exfreund das erste Mal was trinken war und er einen Satz mit „Also meine Exfreundin…“ einleitete, unterbrach ich ihn mit: „Welche Ex, Linda oder Verena?“ Wie gesagt, bei solchen Recherchen ging ich immer sehr sorgfältig vor. Worauf ich weniger Wert legte, man achte auf die Ironie, waren meine eigenen Texte. Das ist deshalb ironisch, weil meine Texte meine Visitenkarte sind. Aber beim Formulieren war ich sehr ungenau. Vor allem bei meinem Lieblingsthema Überschriften machte sich das bemerkbar. Für mich war es wichtiger, dass die Überschrift gut klang, als dass sie auch tatsächlich Sinn machte. Mittlerweile habe ich das verinnerlicht. Wie sehr, habe ich letztens gemerkt, als ich mal wieder mit einer Headline kämpfte und meine Mutter und meinen Stiefpapa um Hilfe fragte. Es ging um eine Erfindung, die man unter die Matratze legt und die dann im Schlaf die Vitalfunktionen aufzeichnet und diese auf eine App überträgt, kurz gesagt.
„Der Schlaf auf der App“, schlug mein Stiefpapa vor. Vor drei Monaten hätte ich diesen Vorschlag wahrscheinlich sogar angenommen. Vor einer Woche allerdings sagte ich: „Du schläfst nicht auf der App.“
„Schlafen mit der App?“, suggerierte Mama.
„Du schläfst nicht mit der App, du hast ja keinen Sex damit“, sagte ich und hoffte stark, dass das auch den Tatsachen entsprach.
„Besser schlafen mit der App?“
„Du schläfst nicht automatisch besser deswegen.“
„Ist das nicht der Sinn der Sache?“
„Ja, dass man langfristig besser schläft, wenn man dieses Ding unter der Matratze hat, weil es dir sagt, was deinen Schlaf stört.“
„Na dann passt das doch.“
„Nein, weil die App deinen Schlaf nicht regelt.“
Kurzes Schweigen. Meine Eltern schienen zu begreifen, warum bei mir gerade für die kurzen Überschriften immer so viel Zeit draufgeht.
„Für einen guten Schlaf?“, versuchte Mama es nochmal.
„Klingt marktschreierisch und sagt nicht viel über den Text aus, außer dass es um Schlaf geht, aber das könnte genauso gut eine Werbung für Benzodiazepine sein.“
Seufzen am anderen Ende. Ja, früher kamen ähnliche Vorschläge wie ihre aus meinem Mund und ich durfte mir von meinem Kollegen anhören, warum die gar nicht gingen. Mittlerweile bin ich genauso. Und das ist gut. Mit steigender Pedanterie erhöht sich zwar auch das Klugscheißerpotenzial, aber da ich ja gerne klugscheiße, soll mich das nicht stören.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
Mein Name sei MAMA
• 8 Jahren agoUnd welcher Titel ist es geworden? App up your nap?
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDer Titel ist so schlecht, dass ich mich fast schäme ihn zu verraten 😀
Mein Name sei MAMA
• 8 Jahren agoDas kann ich schwer glauben 😉 Die Spannung steigt…
madameflamusse
• 8 Jahren agoich hab zwar nicht das Dingens mit der Rechtschreibung aber sonst kommt mir das echt bekannt vor 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDann bist du wohl auch infiziert, herzlichen Glückwunsch 😉
madameflamusse
• 8 Jahren agohaha, ja langsam kann ich auch dazu stehen, wobei es einen nich so beliebt macht, aber ich kann nich anders 😀 und Du scheinst ja ganz gut damit leben zu können
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoMan muss sich auch mal unbeliebt machen, um sich selbst gern haben zu können 😉
Ich würde nicht mehr ohne das alles leben wollen 😀
madameflamusse
• 8 Jahren agoDa hast Du recht! 😀
Karolina
• 8 Jahren agoEin toller Text, ich hab mich direkt wiedergefunden! ;P
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDanke 🙂 was schiebst du so vor dir her? 😉