Nicht nur ist Ironie meine dritte Muttersprache nach deutsch und steirisch, es ist auch etwas, das einem im Alltag immer wieder gerne begegnet. Auch ich blieb letztens nicht davon verschont und verspüre deshalb eine gewisse Notwendigkeit, dem Begriff auch hier einen Raum zu geben.
Iro·ni̱e̱
Substantiv [die]
1.
der Vorgang, dass jmd. auf indirekte Weise seinen Spott zum Ausdruck bringt, indem er das Gegenteil dessen sagt, was er meint.
„Ich konnte die Ironie aus seinen Worten heraushören.“
2.
eine paradoxe Situation.
„Ironie der Geschichte/des Schicksals“
Die erste Form dürfte denjenigen, die meinen Blog schon länger verfolgen, durchaus geläufig sein. Leider ist das eine Form des literarischen Ausdrucks, die nicht jeder versteht. So muss man beispielsweise im Journalismus sehr vorsichtig mit diesem wundervollen Mittel umgehen, denn ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schnell die Leser sich beschweren. Lob kriegt man selten, aber wenn es darum geht, ihren Unmut zu äußern, sind die Menschen unschlagbar. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Leute mit Rotstift vor der Zeitung sitzen und alles markieren, was ihnen nicht passt, damit sie später auch ja keinen Punkt vergessen, bei dem sie sich persönlich angegriffen gefühlt haben. Manche besonders aufmerksamen Bürger beschweren sich übrigens auch äußerst selbstlos für andere, ganz nach dem Motto: „Ihr habt das Wort Muttersprache verwendet. Mein Nachbar ist alleinerziehender Vater, der seinem Kind alles selber beigebracht hat, weil die Mutter sich aus dem Staub gemacht hat. Insofern finde ich den Begriff ‚Muttersprache‘ ihm gegenüber diskriminierend, weil die Mutter ja nichts mit dem Erwerb dieser zu tun hatte.“
Man kann sich also vorstellen, was passiert, wenn den Leuten wirklich entgeht, dass man eine Äußerung nicht ernst gemeint hat. Wie gesagt, sprachliche Ironie ist wundervoll, doch es gibt leider immer wieder Menschen, denen der Sinn dafür fehlt.
„Hast du dir die Haare schneiden lassen?“, fragte mich zu meiner Schulzeit eine Klassenkameradin, als ich mir meine fast hüftlangen Haare zu einen Longbob hatte stutzen lassen – eine Veränderung, die ich mir schon drei Mal eingebildet und hinterher immer wieder bereut habe.
„Nein, das sind Extensions“, antwortete ich überzeugt, denn eine doofe Frage verdient meiner Meinung nach eine nicht weniger doofe Antwort. Besagte Klassenkameradin musterte mich kritisch und ich hörte es in ihrem Hirn förmlich rattern.
„Cool“, sagte sie dann schließlich. „Ich dachte immer, mit Extensions kann man die Haare nur länger machen lassen, aber man lernt ja immer wieder was dazu.“
Ein klarer Fall von Kopf meets Tischplatte. Man könnte vermuten, dass dieses Mädchen die Ironie verstanden und ebenso darauf reagiert hatte. Auf Sarkasmus mit Sarkasmus zu reagieren, ist schließlich ein Indiz für ein gesundes Hirn. Leider muss ich diese wohlwollende Vermutung sogleich zerstören, denn ich hörte besagte Klassenkameradin in der Pause zu ihrer Freundin sagen: „Hast du schon Julies neue Extensions gesehen?“
Man muss also immer davon ausgehen, dass es Menschen gibt, denen der Sinn für Ironie gleich nach ihrer Geburt zerstört wurde, beispielsweise wenn sie dreimal hochgeworfen und nur zweimal wieder aufgefangen wurden. Oder die Eltern hatten dieses Gen schon nicht und konnten es daher auch nicht weitervererben. Jedenfalls gibt es Leute, die diese Sprache nicht sprechen. So etwas ist immer sehr ärgerlich, aber damit muss man sich wohl oder übel abfinden.
Ich habe bereits in der Subheadline (ja, ich kann mit journalistischem Fachvokabular und Anglizismen um mich werfen) angedeutet, dass mir die Ironie letztens selbst begegnet ist. Da sprach ich von der zweiten Form, also von der paradoxen Situation, beziehungsweise Ironie des Schicksals, für alle, die nicht nochmal raufscrollen wollen – ich gebe zu, das musste ich gerade selber tun, weil ich den Wortlaut nicht mehr wusste.
Und zwar erinnern sich viele von euch sicher noch an meinen Beitrag „Was man sich lieber verkneifen sollte“. Tja, da habe ich über das böse S-Wort (nein, es geht mal wieder nicht um Sex, meine Mutter liest hier immer noch mit) geschrieben und mich darüber lustig gemacht, dass man damit in Tageszeitungen so aufpassen muss. Die Leute könnten es ja nachmachen und die Stadtbevölkerung könnte sich von einem Tag auf den anderen halbieren. Nicht, dass das bei uns so ein großer Verlust wäre, dann würden die Mietpreise vielleicht endlich mal auf ein leistbares Niveau sinken. Aber ich schweife ab. Ich wähnte mich auf der sicheren Seite, denn wann muss man in einem Magazin schon mal das Thema Selbstmord, pardon, Suizid behandeln? Richtig, normalerweise nie. Tja. Das dachte ich zu diesem Zeitpunkt auch.
Tatsächlich musste ich auch nicht direkt über Suizid schreiben. Es ging um die Schlussseite für ein Wissenschaftsmagazin, die „gerne ein wenig ironisch angehaucht sein“ darf. Super, voll mein Ding. Nach ein paar Stunden Recherchearbeit fand ich heraus, dass es eine Art Anti-Nobelpreis für Leistungen, die „Menschen erst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen“, gibt. So kamen zum Beispiel zwei Wissenschaftler zu der unheimlich weltbewegenden Erkenntnis, dass ein Huhn wie ein Dinosaurier läuft, wenn man ihm nur etwas Schweres ans Hinterteil hängt – ich wüsste zu gerne, wie viele Veganer und Tierschutz-Aktivisten daraufhin einen Aufstand gemacht haben. Ich fand es lustig, zu welchen dämlichen Erkenntnissen manche Leute in der Lage sind, und ließ das Thema von meinem Kollegen absegnen.
„Super, hau gleich noch das Goldene Brett vorm Kopf und den Darwin Award rein, das wird cool“, meinte er begeistert.
Gesagt, getan. Vor allem der Darwin Award (der posthum an die Menschen verliehen wird, die sich auf besonders originelle Weise selbst aus dem Genpool entfernen aka sterben) hatte es mir angetan. Über diesen prestigeträchtigen Preis habe ich vermutlich länger als nötig „recherchiert“, aber die Beispiele menschlicher Blödheit waren einfach zu herrlich. Alle zwei Minuten erhielt ich eine neue Bestätigung für die Richtigkeit von Albert Einsteins These: „Es gibt zwei Dinge, die unendlich sind, das Universum und die menschliche Dummheit. Nur beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
Mein Kollege und ich stellten eine richtig geniale Schlussseite zusammen und dann schließlich verließ mein Kollege die Redaktion, um die Seite vom Chefredakteur checken zu lassen. Als er den Raum das nächste Mal betrat, sprach er die Worte: „Der Darwin Award ist raus. Ist zu makaber. Nicht, dass sich die Menschen noch zum Nachahmen animiert fühlen.“
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Spinne in seinem Bett zu finden, höher ist, wenn man Angst vor selbigen hat. Abgesehen davon, dass ich seitdem eine unheimliche Angst vor Jared Leto und Bill Kaulitz entwickelt habe, führte mich das Ergebnis dieser Studie zur Entdeckung eines eigenen Phänomens: Wenn man sich über etwas lustig macht, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendwann selbst darüber schreiben muss – und danach auch noch zensiert wird.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
jackyswelt
• 8 Jahren agoHerrlicher Artikel!! Musste durchgehend schmunzeln.
Das Beispiel mit den Extensions ist echt gut! 😀
So geht es mir mit der Ironie und den anderen Menschen, die sie eben nicht verstehen, auch oft. Wer weiß, vielleicht gibt es wirklich ein Gen dafür?! 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDanke 🙂 Ich glaube teils macht einen das Leben zynisch aber ein gewisses Grundverständnis dafür muss schon von Haus aus da sein 😀
jackyswelt
• 8 Jahren agoIch habe in dem Zusammenhang mal einen Spruch gehört, den ich so schnell nicht wieder vergesse: „Wenns scheiße läuft im Leben, gibt es nur zwei Wege damit umzugehen. Selbstironie oder Selbstmord.“ Selbstmord erscheint mir aber feige.. 😉
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoAbgesehen davon dass man über Selbstmord nicht schreiben darf 😉
jackyswelt
• 8 Jahren agoDas habe ich ja bei dir schon gelernt, allerdings halte ich mich ungern an Regeln, also darf ich das… 😉
derhilden
• 8 Jahren agoRespekt, dieser Beitrag hat meinen doch etwas faden Sonntag mehr als erhellen können. 😀 Ich musste sehr bei der Beschreibung des dreimal in die Luft geworfenen, aber nur zweimal gefangenen Kindes lachen.
In Schriftform ist Ironie auch nochmal schwieriger für viele zu erkennen. Die Erfahrung musste ich auch schon auf der alten Seite meines Blogs machen. Schön ist es dann, solche Leute mit noch mehr Ironie vollends zu verwirren.
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDankeschön das freut mich 😀
Ja das mit der Schriftform ist genau das Problem, gesprochen kann man das zumindest an der Stimmlage festmachen, aber geschrieben ist alles gleich wieder schwieriger 😀
derhilden
• 8 Jahren agoDa muss man schon Vertrauen in seine Leser haben. Bei den wenigen Leuten, die mich hier lesen, hab ich das, aber du erreichst ja eine deutlich größere Spanne an Leuten. Vor allem auch diese bereits erwähnten Querulanten, für die ein Tag ohne eine Beschwerde ein verlorener Tag ist. 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoAch, glaub mir, so megaviele Leute erreiche ich hier auch nicht 😀 bin eh schon gespannt, wann ich den ersten Shitstorm bekomme 😀
derhilden
• 8 Jahren agoDa warte ich auf meiner Seite ehrlich gesagt auch immer drauf. 😀 Ich provoziere es jetzt nicht gezielt, aber so ein kleiner Nervenkitzel wäre schon dabei.
Ich diskutiere auch einfach zu gern mit solchen Leuten, so hat jeder sein Laster.
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoKenne ich, ich finde sowas auch immer ganz lustig 😀
Was ist eigentlich die Journalistenkrankheit? - diemitdemrotenlippenstift
• 7 Jahren ago[…] Recherchen ging ich immer sehr sorgfältig vor. Worauf ich weniger Wert legte, man achte auf die Ironie, waren meine eigenen Texte. Das ist deshalb ironisch, weil meine Texte meine Visitenkarte sind. […]
Drama, Baby! - diemitdemrotenlippenstift
• 7 Jahren ago[…] abkleben sollte (ja, das wurde bei einem Selfie-Workshop erzählt. Womit wir wieder das Thema Ironie anschneiden), weil sich Hacker darauf Zugriff verschaffen könnten. Habe ich bisher auch keinen […]