Wenn ich in den Spiegel schaue, werde ich instant unglücklich. Zu viel Fett, zu dicke Oberschenkel, zu kleine Brüste. Niemand wird mich jemals gut finden. Ich muss nehmen, was ich kriegen kann. Und vor allem muss ich endlich mal abnehmen.
Diese Sätze lösen bei mir so viel Beklemmung aus, während ich sie nur tippe, aber als ich 16 war, waren das meine täglichen Gedanken. Ich habe mich unter langer, weiter Kleidung versteckt, mich ständig mit meinen (angeblich soooo viel) schlankeren Mitschülerinnen verglichen und mir eingeredet, dass ich es nicht verdient habe, glücklich zu sein, weil ich so aussah, wie ich eben aussah. Kennen wahrscheinlich leider viel zu viele Menschen aus eigener Erfahrung.
Habe ich mich umsonst fertig gemacht? (Spoiler: JA!)
Letztens war ich bei meiner Freundin Kathi zu Besuch und sie hat ein Bild von damals ausgegraben, das mir einen regelrechten Schlag in die Magengrube verpasst hat. Das ist das besagte Bild:
Und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht mit den Tränen gekämpft habe, als ich es mit fast zehn Jahren Abstand gesehen habe. Wahrscheinlich werden es alle schon gemerkt haben: Ja, mein Stil damals war indiskutabel, aber ich war offensichtlich nicht dick. Meine erste Reaktion, als ich das Foto gesehen habe, war sogar: „Fuck, ich war eigentlich sogar ziemlich dünn dafür, dass ich gedacht hab, ich sei fett.“
Habe ich mich also all die Jahre umsonst fertig gemacht? Ich fürchte ja. Und bereue ich es im Nachhinein, meine wertvolle Lebenszeit mit unnötigen Gedanken über mein Aussehen verschwendet zu haben, vor allem, weil es auch meine Beziehungen nachhaltig beeinflusst hat? Verdammt, ja!
Wie mir andere geholfen haben, mich selber zu hassen
Ich weiß gar nicht, wann ich angefangen habe, mir selber einzureden, ich sei nicht hübsch genug oder zu dick oder was weiß ich, was ich noch Schreckliches zu mir gesagt habe. Diesen einen Schlüsselmoment gab es so bei mir nicht. Eher sind es kleine Momente, die mir in Erinnerung geblieben sind.
Als meine Jeans mal gerissen ist, weil ich mich aus falscher Eitelkeit geweigert habe, sie in der richtigen Größe zu kaufen, zum Beispiel. Oder die unzähligen Male, die ich „Fettarsch“ genannt wurde, die es mir heute noch schwer machen, Komplimente für meinen Hintern anzunehmen. Wie unsere Hauswirtschaftslehrerin uns gezwungen hat, unseren BMI laut vor der Klasse auszurechnen und meinen dann mit „Ich glaub du lügst, du bist schwerer“ kommentierte. Oder die Schülerin aus der Parallelklasse, die sich über das Pfefferspray, das ich damals mit mir rumgetragen habe, lustig gemacht hat mit den Worten: „Glaub mir, Julia, dich vergewaltigt keiner.“ (Falls du das liest, Helena, liebe Grüße, ich hoffe sehr für jeden, der dir begegnen muss, dass du dich zum Positiven verändert hast.)
Ungesundes Selbstbild = ungesunde Beziehungen?
Ich hatte zu dieser Zeit wirklich Probleme damit, mich selbst anzunehmen. Jedes Mal, wenn ich vor dem Spiegel stand, wollte ich weinen, mir eine Schere schnappen und das überschüssige Fett wegschneiden. In der Schule habe ich immer meine schlanken Mitschülerinnen angesehen und konnte es oft nicht mal mehr ertragen, mit ihnen zu sprechen, so neidisch war ich. Sport war mein meistgeschwänztes Fach, vor allem der Schwimmunterricht (und das will was heißen, weil ich hab generell sehr oft geschwänzt, aber das ist ein anderes Thema).
Als dann aufgrund meines damals schon relativ ungewöhnlichen (ja, sagen wir indiskutablen) Stils auch noch das Gerücht entstand, ich sei lesbisch, wurde es für mich noch einmal schlimmer, weil ich damals noch nicht mit meiner Bisexualität im Reinen war.
Für all diese Gerüchte und die blöden Kommentare, ich würde eh keinen Freund finden, war ich umso entschlossener, erst recht einen zu finden. Und ich fand einen, stürzte mich viel zu schnell in eine Beziehung, bei der ich von Anfang an ein schlechtes Gefühl hatte, mit einem Menschen, der mich, meine Bedürfnisse und meine Grenzen mit Füßen trat. Aber war ja in Ordnung, aus meiner Sicht und aus der Sicht vieler anderer musste man mit meinem Aussehen ja nehmen, was man kriegen konnte.
Einen positiven Effekt hatte die Sache: Ich wurde so unglücklich, dass ich innerhalb eines halben Jahrs zehn Kilo abnahm. Gut, ob das so positiv war, darüber lässt sich streiten, denn 52 Kilo sind bei einer Größe von 1,68 schon im Grenzbereich. Positiv ist aber, dass die Beziehung zumindest schnell vorüber ging. Und dass meine Hauswirtschaftslehrerin mir seitdem glaubte, wenn ich meinen BMI vorlas.
Ich hätte trotzdem lieber eine gesunde, schöne Beziehung gehabt.
Wie ich gelernt habe, meinen Körper zu akzeptieren …
… weiß ich selber auch nicht mehr so genau. Auch hier gab es nicht den einen Schlüsselmoment, es war eher ein schleichender Prozess. Aber ich hab schnell verstanden, wie wichtig es für den Selbstheilungsprozess ist, keine toxischen Menschen in seinem Umfeld zu haben. Wenn die erst mal weg sind, ist die Arbeit zwar noch nicht getan, aber sie wird auf jeden Fall leichter.
Es gibt ein paar Dinge, die es mir persönlich leichter gemacht haben, mit mir selber ins Reine zu kommen und die möchte ich nun teilen. Vielleicht helfen sie ja auch jemandem, der das hier liest:
- Kleidung in der richtigen Größe kaufen – und damit meine ich eine Größe, die wirklich passt und nicht die, deren Zahl im Etikett einem am meisten taugt.
- Sport machen oder im Alltag genug bewegen – und zwar nicht, um Kalorien zu verbrennen oder sich Essen zu „verdienen“ (Newsflash, der Körper braucht Essen, um zu funktionieren!), sondern weil es Spaß macht und hilft, sich fit und leistungsfähig zu fühlen und man den Kopf wunderbar frei kriegt.
YouTube-Empfehlungen von mir: Pamela Reif, Shutdown Fitness mit Felix Lobrecht und die Workouts von Kontra K. - Repeat after me: Mach. Keine. Diät.
Wenn du was an deiner Ernährung ändern willst oder es aus medizinischen Gründen musst und Hilfe brauchst, empfehle ich die Investition in eine Ernährungsberatung (und ganz besonders in eine meiner lieben Freundin Holly Wilkinson, die mich aus einem ungesunden Essverhalten rausgeholt hat). - Sprich darüber. Oft haben FreundInnen ähnliche Probleme und es nimmt den Druck raus, wenn’s jemand ausspricht.
- Zyklus beobachten – ich zum Beispiel fühl mich kurz vor meiner Periode immer richtig unwohl und aufgeschwemmt. Wenn man weiß, dass es damit zusammenhängt und es daher auch automatisch wieder weggeht, wird’s sofort erträglicher.
- Sich selbst im Spiegel anlächeln und ein kleines Kompliment machen wirkt oft Wunder.
- Sag nichts zu dir, was du deinem besten Freund oder deiner besten Freundin nicht genau so sagen würdest.
- Es ist auch nichts falsch daran, operativ nachzuhelfen, wenn man das Gefühl hat, man kann sich selbst gar nicht so annehmen, wie man ist. Ich selber habe mir vor fünf Jahren Fett absaugen lassen und bezeichne das bis heute als die beste Entscheidung meines Lebens. Sei dir allerdings bewusst, dass eine OP allein leider in den seltensten Fällen schlagartig alle Probleme löst.
- Such dir Hilfe. Es ist keine Schande, sondern ein Zeichen von Stärke. Mir haben 3 Jahre Therapie wahrscheinlich das Leben gerettet.
Wichtig: Ich bin keine Expertin und was mir hilft, muss anderen nicht zwangsläufig auch helfen. Hier geht probieren echt über studieren.
Ein paar Worte zu #BodyPositivity
Zu guter Letzt möchte ich noch ein bisschen was zu einem Trend sagen, der sich in den letzten Jahren in den sozialen Medien durchgesetzt hat, nämlich #BodyPositivity. Das Konzept ist einfach: Jede/r sollte seinen/ihren Körper so lieben, wie er ist, egal, ob er einem Ideal entspricht.
Klingt an sich positiv, ist es an sich auch und ich freue mich sehr, dass ein Umdenken in diese Richtung stattfindet und man immer mehr normale Körper und diverse Körperformen in den Medien sieht.
Allerdings hat das Konzept auf mich auch sehr oft Druck ausgeübt, mich jetzt unbedingt selber lieben zu müssen. Gerade am Anfang kann man das wahrscheinlich nicht so einfach und da ist das Letzte, was man braucht, ein Hashtag, der einem dann auch noch sagt: „Jetzt darfst du dich endlich so lieben, wie du bist, aber du schaffst es nicht, fühl dich mal so richtig kacke deswegen!“ (Sagt er zwar nicht, aber you get the idea.)
Vielleicht sollte man, bevor man seinen Körper gleich vergöttert, erst mal lernen, ihn nicht zu bewerten und anzunehmen, wie er ist. Ist für den Anfang leichter und reicht meistens auch vollkommen aus.
So, und nun nochmal die Key Message dieses Beitrags in einem Satz zusammengefasst: Ja, es gibt gesundheitliche Indikationen, bei denen man sich Gedanken um sein Gewicht (egal, ob zu hoch oder zu niedrig) machen sollte. Sich aber grundlos wegen seines Körpers fertigzumachen ist verschwendete Lebenszeit – lassen wir das!
Bussi!!
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