„And you’re going to need a study buddy“ – diesen Satz habe ich bis jetzt in jedem einzelnen Anglistikseminar gehört, das ich dieses Semester belege. Für überzeugte Misanthropen wie mich (für die, die es nicht wissen, das sind Menschen, die eine Abneigung gegen andere Menschen, oder zumindest deren Nähe haben) ist dieser Satz das schlimmste, das einem angetan werden kann. Wobei, halt, das stimmt so nicht ganz. Man kann diesen Satz noch toppen. Und zwar mit dem Zusatz: „And you have to meet at least five times to complete the task.“
„Ich hau dich gleich mit meinem Study Buddy“, murmelte ich vor mich hin. Ich konnte richtig spüren, wie meine Mittelfinger sich unter dem Tisch versteiften und der Tisch sich ein paar Zentimeter hob – und nein, es war nicht mein Sitznachbar daran schuld, der sich auf weibliche Kontakte freute. In diesem Moment wusste ich: So muss es sich für einen Mann anfühlen, in einem unpassenden Moment einen Ständer zu bekommen. Bevor noch mein Kaffeebecher, der einzige, der mir in diesem Seminar noch Trost spenden würde, durch die Schrägstellung des Tisches abhandenkommen konnte, riss ich mich zusammen und atmete tief durch. Ich dachte darüber nach, ob es nun zu spät war, laut zu fluchen und zu behaupten, ich litte am Tourette-Syndrom. Leider entschied ich mich für ja, da mich manche Leute in diesem Seminar schon mal woanders gesehen hatten – fröhlich, allein und daher ohne Grund, mit Schimpfwörtern um mich zu werfen.
Jeder, der mich auch nur ein bisschen kennt, weiß um meine einzelgängerische Art. Wenn in einer Jobbeschreibung steht, dass ich teamfähig sein und Spaß am Umgang mit Menschen haben sollte, bewerbe ich mich aus Prinzip erst gar nicht, auch wenn der Job noch so toll und gut bezahlt wäre. Aber Menschen… ne. Lieber nicht. Ich meine, es ist ja nicht so, als könnte ich mit Menschen nicht umgehen. Manchmal habe ich sogar Phasen, in denen ich ausgehe. So zwei Mal im Jahr, wenn ich richtig eskaliere. Und dann bin ich in einer Bar, bzw. einem Club, stehe doof rum und weiß genau, warum ich das sonst nicht mache. Dass mich die meisten Leute trotzdem als nett bezeichnen, spricht für meine außerordentliche Selbstbeherrschung. Also ich kann mit Menschen schon umgehen. Ich mag’s nur nicht. Ich spiele noch immer mit dem Gedanken, Friedhofsgärtnerin zu werden. Einfach um des Alleinseins willen. Bis ich dann allein sterbe und von meinen Katzen gefressen werde.
Letztens wurde ich von meinen Arbeitskollegen, die ich, oh Wunder, sogar mag, gefragt, wie man das eigentlich so macht, wenn man keine Menschen mag. Wie kommt man auf der Uni so zurecht? Naja, man schlägt sich halt so durch. Im wahrsten Sinne des Wortes. In meinem Fall packt man auf der Geiwi die Sowi-Studentin aus und sagt ganz knallhart zu den frisch gekürten Study Buddys (die mir eh immer leidtun, wenn sie mit mir in der Gruppe landen, aber in diesem Punkt kann ich leider schwer aus meiner Haut): „Ich habe keine Zeit und keine Lust, mich jede Woche zu treffen, wir müssen diese Treffen auf so wenige wie möglich beschränken, im besten Fall auf null bis eins.“ Den Moment verdatterter Stille nutze ich sofort aus und sage: „Super, dass du mir da entgegenkommst, vielen Dank.“ Und es funktioniert. Größtenteils. Manchmal. Es sei denn, der Study Buddy ist eine Flasche. Passiert bei mir leider sehr häufig. Und da spricht ausnahmsweise mal nicht die Misanthropin aus mir (zumindest nicht komplett). Ich kriege in 9 von 10 Fällen die Study Buddys, die Schuhe mit Klettverschlüssen tragen. Und das nicht, weil sie sie schick finden.
Was der Sinn von Gruppenarbeiten auf der Uni ist, leuchtet mir noch nicht ganz ein. Ich denke, größtenteils ist es eine Strategie von faulen Dozenten, die selber keine Seminare halten wollen und es deshalb auf ihre Studenten abwälzen. Warum die sich diesen Beruf überhaupt ausgesucht haben, ist mir vollkommen schleierhaft. Wahrscheinlich war gerade keine Stelle als Friedhofsgärtner frei und da dachten sie sich „Hey, ich versuch’s einfach mal an der Uni.“ Und wir haben jetzt den Salat.
Vielleicht sehe ich das Ganze etwas zu pessimistisch und zu sehr aus der Sicht einer Einzelgängerin, auf die unsere Gesellschaft leider nicht ausgerichtet ist. Ich finde nur, dass der Uni in diesem Fall eine kleine Bildungsreform ganz gut täte. Denn es kann doch nicht der Sinn sein, die Studenten so zu erziehen, dass sie nur in der Gruppe Leistungen erbringen. Wie sollen die denn lernen, mal was alleine zu schaffen? Die Leute, mit denen ich in 9 von 10 Fällen in einer Gruppe lande, können sich oft nicht mal selbst die Schuhe zubinden (für die, die die Metapher mit dem Klettverschluss vorhin nicht verstanden haben, war das die Auflösung dazu). Ich denke, da bräuchte es eine bessere Balance und mehr Absprachen unter den Dozenten. Klar, Austausch ist wichtig, auch wenn Menschen wie mir das nicht unbedingt ins Konzept passt. Aber genauso wichtig ist es auch, zu lernen, wie man sich hin und wieder mal selbst durchkämpft. Denn auch der beste Study Buddy lässt einen mal im Stich. Und Harry Potter wäre sicher auch kein so geniales Werk geworden, wenn JK Rowling es mit anderen Menschen zusammen geschrieben hätte. Aber vielleicht spricht da auch nur die Schriftstellerin aus mir.
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
Lydia
• 8 Jahren agoAmen! Und dann noch diese Endlosdiskussionen, die mit einem faulen Kompromiss enden, mit dem alle unzufrieden sind. Kenne aich noch aus meinem Studium. Mein Lieblingsmodell ist momentan: in der Gruppe inspirieren, alleine transpirieren. 😉
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoExakt. Und dann sitzt man drei Stunden zusammen und hat noch immer nix geschafft ? dein Lieblingsmodell klingt super ?
ThatGuyHyde (@TobiasHyde)
• 8 Jahren agoYay, l/S III transkripts machen spaß! Warte auch schon „sehnsüchtig“ auf mein erstes treffen für den blödsinn bin nur froh das ich ne alte bekannte als study-buddy hab. Das mit jemand fremden machen müssen? Der horror! In allen anderen kursen wird das study-buddy gebot eh ignoriert 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoIch glaubs 😀 ach schad, hätt sonst dich gefragt, dann wärs vielleicht doch lustig geworden 😀 weiß eh noch nicht wer sich als mein Study Buddy erbarmt 😀
ThatGuyHyde (@TobiasHyde)
• 8 Jahren agoLeider hab schon noch nen Misanthropen in unsrer gruppe gefunden sonst wär ich warscheinlich auch übergeblieben 😛 Wenn du gar niemanden findest können wir uns schon mal zusammensetzen.
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoLieb von dir, danke 🙂
irreseinhorn
• 8 Jahren agoTEAM. Together Everyone Annoys Me.
Dabei habe ich früher schon immer gesagt, ich sei ein guter Teamspieler. Wenn ich mindestens Nr. 2 im Team bin, geht’s auch.
So muss es sich für einen Mann anfühlen, in einem unpassenden Moment einen Ständer zu bekommen
Nicht ganz. Mittelfinger stehen unter besserer Kontrolle als Ständer 😉
„Wie man das so macht, wenn man keine Menschen mag..:“ – ich lache noch immer. Brillanter Text mit hohem Wiedererkennungswert 🙂
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoAlso erst mal: ich liebe, liebe, liebe deinen Namen 😀 und Einhörner. Einhörner sind besser als Menschen 😀
So und nun bedanke ich mich mal vielmals für deinen lieben Kommentar 🙂 und die Definition von Team unterschreibe ich sofort 😀
irreseinhorn
• 8 Jahren agoEinhörner können aber echt irre sein 😉
jimmynovakin
• 8 Jahren agoDu sprichst mir aus dem Herzen.
Ich liebe den Moment, wenn deine Gruppe absolut nichts, außer einem pseudowissenschaftlichen Video auf YouTube zu bieten hat und danach für einige Sekunden betroffenes Schweigen herrscht.
Aber manche Menschen können echt gut improvisieren, von A bis B
– aus mir spricht der Neid 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDa hast du in beiden Punkten Recht 😀
Friede
• 8 Jahren agoOoooh ja! Teamarbeit. Ich hab sie schon in der Grundschule gehasst. Obwohl ich das ja sogar ein Stück weit nachvollziehen kann: Manche Dinge funktionieren einfach in Gruppenarbeit besser, deshalb ist es (wohl oder übel) auch sinnvoll, dass Kinder in der Schule lernen, auch in Gruppen zu arbeiten. Aber irgendwann geht dann gar nichts mehr ohne Teamarbeit. Referat. Hausarbeit. Toilettengang.
Spätestens bei der Jobsuche ist man ja völlig aufgeschmissen, wenn man KEIN Teamplayer ist. Auch Friedhofsgärtner müssen heutzutage bestimmt teamfähig sein …
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoJa, da stimme ich zu. Teamfähigkeit muss man einfach ein Stück weit lernen, da führt eh kein Weg daran vorbei. Nur finde ich, dass man da eine gesunde Mitte finden sollte zwischen Gruppen- und Einzelarbeiten. Spätestens wenn man selbst mal ein Unternehmen gründen möchte, ist man sonst ja aufgeschmissen, wenn man keine eigenen Entscheidungen treffen kann. Ich finde, auch das sollte man fördern.