Für Leute wie mich, die immer zögern, wenn sie ihre E-Mail-Kontaktdaten weitergeben müssen, weil sie sich für ihre peinliche, vor Jahren im Rausch selbsterstellte Mailadresse schämen, ist es wohl der schönste Moment, wenn sie ihre eigene Arbeitsadresse bekommen. Nie mehr eine E-Mail unter dem Pseudonym Pferdegirl2013 verschicken! Ich muss zugeben, ich habe innerlich gejubelt und sogar ein kleines Tränchen verdrückt, als ich den Zettel mit meiner Businessadresse drauf in den Händen hielt. Wow. In meiner Mailadresse kommen endlich mein Vor- und Nachname vor. Dazu noch die Firma, in der ich arbeite. Man sieht also nicht nur, dass ich tatsächlich einen vollen Namen habe und endlich seriös geworden bin, sondern auch, dass ich mittlerweile einen Job habe und nicht mehr nur dem faulen Studentendasein fröne. Es war wahrlich ein historischer Moment, dieser 18. Jänner 2016. Ich habe mir diesen Tag rot im Kalender angestrichen.
„Und hier steht auch noch deine Durchwahl drauf“, hörte ich meine Kollegin an meinem ersten Tag sagen und verschluckte mich fast an meiner eigenen Spucke.
„Ich hab ne Durchwahl?“, fragte ich ungläubig und platzte fast vor lauter Stolz. Das mit der Mailadresse war ja schon mal der Hammer, aber die Durchwahl freute mich fast noch ein Stückchen mehr. Ich hatte das Gefühl, das war der Moment, an dem ich in meinem Leben etwas erreicht habe. Ich war plötzlich ein vollständiges Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft, ein vollständiger Mensch, der von seiner Durchwahl komplettiert wurde. Allen Menschen, die unter irgendeiner Form von Minderwertigkeitskomplexen leiden, rate ich dazu, sich eine eigene Durchwahl geben zu lassen. Plötzlich fühlt man sich so wichtig wie nie zuvor. Eine eigene Durchwahl verleiht Flügel, die einem selbst zwanzig Dosen Red Bull nicht zu geben vermögen (Ein wenig unnützes Wissen am Rande: Die lethale Dosis von Red Bull liegt für Frauen bei 28 Litern und für Männer bei 40). Man glaubt plötzlich, man könnte die Welt erobern – weshalb man übrigens Menschen mit einem Ego wie ein LKW so ein Ding nicht geben sollte. Aber lässt sich ja oftmals nicht vermeiden.
An diesem Tag sollte ich noch einige Kollegen kennenlernen und bei jeder einzelnen Vorstellung musste ich mich zusammenreißen, um nicht zu sagen: „Ach übrigens, meine Durchwahl ist die 2122. Nur falls ihr mal was braucht. Ich bin zwar sehr beschäftigt, aber ich verspreche, ich rufe zurück.“ Da ich allerdings trotz dezent verlorener Bodenhaftung noch ein wenig Selbstreflexion besaß und erkannte, dass ich zumindest an meinem ersten Tag nicht unentbehrlich sein würde, hielt ich mich zurück. Es war eine harte Bewährungsprobe für meine Selbstbeherrschung. Als ich dann noch erfuhr, dass zu meiner Mailadresse auch noch eine richtig coole Signatur gehört, war es dann komplett vorbei. Das war zu viel für meine eh schon schwachen Nerven. In dieser Signatur sind mein Name, meine Mailadresse UND meine Durchwahl enthalten, außerdem der Hinweis, dass ich in der Redaktion sitze. Sozusagen eine kombinierte Zusammenfassung (Achtung, Pleonasmus!) aller Vorteile, die mit meinem Job verbunden sind. Damit war diese Signatur für mich das Nonplusultra. Sie war mein größter Stolz. Quasi mein Kind. Nur ohne die nervigen Schreie und ekelhafte Spucke überall. Als ich diese Signatur zum ersten Mal zärtlich betrachtete, wusste ich, ich würde sie immer lieben. Als ich ein paar Tage später eine kleine Schreibblockade hatte, nutzte ich die Gunst der Stunde und tippte ein paar hochoffiziell aussehende Mails an meine halbe hirninterne Kontaktliste. Denn wenn ich eine Schreibblockade habe, entstehen aus irgendeinem Grund die schönsten, pathetischsten E-Mails. Diese sahen ungefähr so aus:
„Sehr geehrte Frau Soundso,
Ich schreibe Ihnen aufgrund eines akuten Inspirationsmangels, der seit wenigen Minuten im Inneren meines Kopfes herrscht und es mir gerade unmöglich macht, mir eine Überschrift für einen sicherlich hochinteressanten Bericht aus den Fingern zu saugen. Ich darf Sie daher bitten, sich ein paar Sekunden Zeit zu nehmen und meine hochprofessionelle Signatur sowie die seriöse Mailadresse zu bewundern.
Ich darf Ihnen zudem einen schönen Tag wünschen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Die mit dem roten Lippenstift“
Da ich dieses Faible für roten Lippenstift im Gegensatz zu meiner Blockade bezüglich Überschriften (siehe älterer Beitrag) in dieser Woche noch nicht hatte, lautete meine Unterschrift natürlich anders. Aber auch ohne meinen späteren Spitznamen am Ende der Nachricht sollte ich einige Antworten mit dem schmeichelhaften Inhalt „Du hast’n Vollknall“ zurückbekommen. Auf die schrieb ich dann nur ein „Ich danke Ihnen vielmals für Ihre konstruktive Kritik“ zurück und schüttelte innerlich den Kopf, weil die Leute offensichtlich den Ernst der Lage nicht erkannt haben. Bis auf eine Ausnahme. Ich weiß nicht, warum genau ich Kat geschrieben habe, hatten wir doch schon längere Zeit keinen regelmäßigen Kontakt mehr, doch als ich überlegte, ob ich es tun sollte, wusste ich instinktiv, dass es richtig war. Sie war die einzige, die auf meine hochgestochene Nachricht im selben Stil zurückschrieb. Ihre Antwort lautete:
„Sehr geehrte Frau mit dem roten Lippenstift,
Vielen Dank für Ihre Nachricht, es war mir eine Freude, von Ihnen zu lesen.
Mit Begeisterung habe ich Ihre Signatur und die überaus seriöse Aufmachung Ihrer Mailadresse zur Kenntnis genommen. Hatten Sie bisher Erfolg mit dem Finger saugen oder mangelt es Ihnen nach wie vor an Inspiration?
Gerne stehe ich Ihnen für Tipps oder Fragen zur Verfügung. Zögern Sie nicht, mich im Notfall zu kontaktieren.
Nun denn, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und ein ebenso schönes Wochenende.
Mit besten Grüßen, Kat“
Tja, bis dahin passierten ziemlich viele „Notfälle“, in denen ich Kat kontaktierte. Natürlich nur, wenn ich gerade eine ruhige Minute hatte. Aber diese ruhigen Minuten auf der Arbeit reichten aus, um eine alte Freundschaft wieder aufleben zu lassen und wieder für täglichen Kontakt zu sorgen. Ich hoffe bis heute, dass niemand diese Mails jemals zu Gesicht bekommt. Man würde uns höchstwahrscheinlich beide in die nächstgelegene Gummizelle verfrachten lassen und uns als Gefahr für den Verstand unserer Umgebung klassifizieren. Oder aber, man könnte ein Buch damit füllen. Vielleicht sollten wir unsere Korrespondenz ja doch mal an einen Verlag schicken. Halt nicht zwangsläufig an den, in dem ich angestellt bin. Soll ja niemand auf die Idee kommen, ich würde nicht arbeiten.
Ich würde sagen, manchmal lohnt es sich doch, jemanden zu kontaktieren, dem man nicht regelmäßig schreibt. Die Chancen stehen 50:50, dass sich derjenige freut und daraus etwas echt cooles entsteht – oder aber derjenige kratzt sich am Kopf und denkt sich nur „Hast du’n Vollknall?“
Eure Julie,
Die mit dem roten Lippenstift
derhilden
• 8 Jahren agoWahnsinn, ich erkenne mich da echt wieder. 😀 An meinem ersten Tag in der Behörde hab ich auch fast zu viel bekommen ob der eigenen Mailadresse und der Durchwahl. Ich glaubte fast, hyperventilieren zu müssen, was in Anbetracht der Tatsache, meiner damaligen Ausbilderin gegenüber zu stehen und Fragen konstruktiv beantworten zu müssen, eher kontraproduktiv gewesen wäre. Aber ja, das gebe ich selten zu, die Signatur erfüllt mich immer noch mit Stolz, auch nach den eineinhalb Jahren. 😀
Die Erwähnung des Pleonasmus hat es mir als absoluten Verehrer der deutschen Sprache und ihrer unendlichen Möglichkeiten (Der Ausdruck „Verehrer“ ist dabei noch zu wenig, mir fiel nur gerade kein opulenteres Wort ein) voll gegeben, wenn ich könnte, würde ich deinen Blog noch zehn Mal abonnieren. 😀
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDanke für den egopusher nach dem langen Arbeitstag (an dem ich meine Signatur auch einige male bewundert habe) 😀 freut mich dass dir mein Blog so gut gefällt und dass es noch mehreren Menschen so geht, dass sie das mit so einem stolz erfüllt 😀
derhilden
• 8 Jahren agoAbsolut, ich kann doch nur darum bitten, genauso unterhaltsam weiterzumachen, du kannst definitiv mit Worten umgehen. 😀
Haha, bei mir geht der Blick bei ausgehenden E-Mails auxh immer nochmal auf die Signatur. Das ist einfach immer wieder was Schönes.
Vivien
• 8 Jahren agoHach, immer wieder erfrischend, deine Wortspielereien zu lesen. Und mir geht es ebenso wie dir. Die Signatur meiner Firmenemailadresse war mein ganzer Stolz. Wenn ich auch keine eigene Durchwahl hatte. Allerdings fühle ich mich immer total wichtig, wenn mich Jemand auf meiner Festnetznummer anruft. Frag mich nicht, wieso, doch so ist es. Ich hoffe, weiter solch unterhaltsame Posts lesen zu können. Bringt mich jedes Mal zum Schmunzeln. 😀
http://www.muddiwirdfit.blogspot.com
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDanke vivi 🙂 freut mich sehr dass ich dich wieder unterhalten konnte 😀
Vic
• 8 Jahren agoSehr gelungener Beitrag, grinde jetzt noch vor mich hin. Vielleicht auch, weil ich gerade erst wieder eine Freundschaft ausgegraben habe, die 2 Jahre ohne Kontakt überstanden hat, nach 5 Minuten waren wir vertraut wie eh und je! Und auch Deine Freude an Signaturen kann ich total nachvollziehen. Wir haben eine eigene Uni-Mail und eine Signatur dazu, was ich im ersten Semester bombastisch – nur die Durchwahl fehlt mir noch. Wobei die an der Uni ja auch unnötig ist. Wie cool es sein muss, wenn man für eine Firma arbeitet, auf die man auch noch stolz ist 🙂
Viel Erfolg und weiter so!
xx Vic von http://simpletwentysomething.com/
diemitdemrotenlippenstift
• 8 Jahren agoDanke für deinen Kommentar 🙂 wir haben leider keine Uni Signatur aber ich kann mir vorstellen, dass das voll cool ist 😀
Danke, ich wünsche dir auch viel Erfolg 🙂